Experiment: Die Leitgeschwindigkeit-Wie schnell ist eine Nervenzelle?
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Experiment: Die Leitgeschwindigkeit-Wie schnell ist eine Nervenzelle?

Hast du dich schon mal gefragt wie schnell Aktionspotentiale sind? Mit der Neuron SpikerBox Pro und einem Regenwurm können wir das untersuchen!

Dauer 1 Stunde
Schwierigkeitsgrad Fortgeschritten

Was lernt man hier?

Hier lernst du wie man die Leitgeschwindigkeit eines Aktionspotentials im Regenwurm mit der Neuron SpikerBox Pro messen kann. Du wirst auch etwas über "Sparse Coding," eine Art von neuronalen Code lernen. Er unterscheidet sich vom "Rate Coding", das du in einem anderen Experiment untersuchen kannst.

Voraussetzung


Hintergrund

Aufgepasst: Dieses Experiment wurde von der American Physiological Society im Magazin "Advances in Physiology Education" - begutachtet und veröffentlicht. Die Veröffentlichung ist auf Englisch, die Sprache auf der heutzutage alle wissenschaftlichen Studien publiziert werden! Fang' so früh wie möglich an diese zu lesen um dir ein detailliertes Bild von Befunden machen zu können.

In unseren anderen Experimenten messen wir die Aktionspotentiale (Spikes) in Heuschrecken und Kakerlaken und untersuchen die Feuerrate (Spike Rate) und die Feuerpräsenz (Spike Presence) verursacht durch gewisse Stimulationen unter bestimmten Konditionen. Hier werden wir uns mit der Feuergeschwindigkeit (Spike Speed) befassen."

Du denkst wahrscheinlich dass das Nervensystem ziemlich schnell ist. Man hört zum Beispiel die Spikes im Kakerlakenbein unmittelbar nach dem Berühren seiner Beinhaare. Aber ist es wirklich unmittelbar bzw. instantan? Natürlich nicht! Nicht einmal Licht, das schnellste uns bekannte Signal im Universum kann unmittelbar von einen Ort zum nächsten kommen. Aber wie schnell genau ist denn jetzt das Nervensystem? Ist es schneller als ein Auto, Überschallflugzeug oder Handy? Wie könnten wir die Geschwindigkeit messen?

In unseren ElektrophysiologieeinsteigerexperimentenIn leiten wir von Nervenzellen mit nur einem Kanal ab (ableiten bedeutet messen). Das heißt wir benutzen nur eine Aufnahmeelektrode und eine Erdungselektrode. Um Geschwindigkeit messen zu können müssen wir sowohl die Zeit (wann ein Aktionspotential gefeuert wurde) als auch Strecke (Distanz, die ein Aktionspotential zurücklegt in bestimmter Zeit) wissen. Deswegen hat Geschwindigkeit die Einheit Strecke/Zeit. Meistens wird sie in m/s (Meter pro Sekunde) oder km/h (Kilometer pro Stunde) angegeben.

Ein guter Vergleich ist ein Auto auf der Straße. Wenn du vom Straßenrand den Verkehr beobachtest, kannst du sagen ob du ein Auto gesehen hast, was für ein Auto es war und zu welchem Zeitpunkt es an dir vorbeigefahren ist?

Genauso ist das mit der SpikerBox, du kannst sagen ob du ein Aktionspotential gesehen hast, vielleicht welche Art von Nervenzelle es abgefeuert hat und zu welchem Zeitpunkt es sich an deiner Elektrode befindet. Jedoch kannst du nicht sagen wie schnell der Spike den Nerv hinunter rast.

Zurück zum Auto auf der Straße. Sagen wir mal du hast einen Freund einen halben Kilometer weiter unten am Straßenrand sitzen. Ihr könntet ja einfach die Notizen eurer Beobachtungen austauschen und vergleichen.

1 Minute = 0.016 Stunden. Damit teilen wir den halben Kilometer. 0.5/0.016 = 31.25 Kilometer pro Stunde (km/h). Das heißt, wir können Geschwindigkeit nur dann messen wenn wir zwei Beobachter haben. Deshalb brauchen wir die "Neuron SpikerBox Pro" für dieses Experiment. Mit ihr können wir an zwei Punkten entlang eines Nervs Aktionspotentiale messen.

Hmm, warum nehmen wir dann nicht einfach unsere SpikerBox mit unseren zwei Elektroden und der Erde, Stecken sie in das Kakerlakenbein und messen die Aktionspotentiale an beiden Kanälen? Es fällt relativ schnell auf dass hierfür zu viele Aktionspotentiale ausgelöst werden und es ist nahezu unmöglich diese zu sortieren.

Wenn wir das wieder mit der Straße vergleichen wollen, kann man sich das so vorstellen, dass du mit deinem Kumpel relativ nah zueinander eine sehr viel befahrene Straße mit fast nur denselben Autos beobachtest. Wärt ihr zum Beispiel an der Leopoldstraße in München ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihr verwechselt welcher schwarze Porsche gerade an euch vorbeigedonnert ist.

Ich glaube du checkst das Problem. Es werden sehr viele Aktionspotentiale im Kakerlakenbein von vielen Nervenzellen abgefeuert. Darunter eine einzelne Nervenzelle mit nur zwei Beobachtern herauszufischen ist äußerst schwierig. Im inneren des Kakerlakenfemurs verlaufen 2 Nervenbündel mit jeweils 100-200 sehr aktiven Nervenzellen und das Bein ist nur 8mm lang..

Am einfachsten wäre es wenn wir einen längeren Nerven hätten, mit nur 1-3 Nervenzellen, die zudem nicht zu viele Aktionspotentiale abfeuern.

Gibt's eine Spezies mit den oben genannten Kriterien in der Tierwelt? Ja! Und wahrscheinlich auch noch direkt unter deinen Füßen in deinem Garten oder Park.

In den Einsteigerexperimenten haben wir uns Insekten (ARTHROPODEN) angeschaut, jetzt beschäftigen wir uns mit einer neuen Klasse der wirbellosen Tiere: Den Anneliden! Umgangssprachlich: Wümer! Lerne die Präparation des Regenwurms, auch Lumbricus terristrius genannt. Es handelt sich hierbei um eine simplere Tierspezies im Vergleich zu den Experimenten, die wir schon durchgeführt haben. Entlang des Regenwurms verlaufen drei Riesenaxone (Ausgänge von Nervenzellen) die "mediale Riesenfaser" und die zwei"lateralen Riesenfasern". Die mediale Riesenfaser überträgt information über die Wurmspitze (der Teil am Nähesten zum Clitellum), und die lateralen Riesenfasern übertragen Information der Hautzellen des hinteren Endes (Kladt et. al 2010).

Wir können beim Regenwurm aufgrund seiner Länge die Aufnahmeelektroden weit voneinander entfernt platzieren. Des Weiteren können wir beim Regenwurm eine Art neuronalen Codes untersuchen. Das "Sparse Coding"

Was ist "Sparse Coding"? Lasst uns nochmal zurück zum Kakerlakenbein gehen und das "Rate Coding" wiederholen. Beim "Rate Coding" wird die Stimulusintensität durch die Feuerrate repräsentiert. In diesem Beispiel, je stärker du ein Häarchen berührst desto größer wird die Feuerrate der Nervenzellen, die damit verbunden sind. Wenn die Kakerlake den "Sparse Code" für ihr Bein hernehmen würde, würden die darin verlaufenden Nervenzellen nur 1-2 Mal feuern wenn du die Häarchen berührst und ebenfalls 1-2 Mal du diese Stimulation beenden würdest.

Im folgenden Regenwurmexperiment wirst du ein Beispiel für den "Sparse Code" kennenlernen und kannst das ausnutzen um Leitgeschwindigkeit zu messen aka wie schnell Spikes weitergeleitet werden.

Downloads

Was brauchen wir hier?
  1. Die Neuron SpikerBox Pro
  2. einen Regenwurm
  3. Einen Faradaykäfig
  4. einen Laptop mit stereo line-input
  5. Patch/Laptop Kabel
  6. Lineal
  7. Kork oder Styropor für den Wurm
  8. Alkohol oder Sprudelwasser
  9. 2 kleine Plastikbehälter, einen füllen wir mit Wasser und den anderen mit Alkohol/Sprudelwasser Anästhetikum (Betäubungsmittel)
  10. Viele neue Laptops haben leider keinen Stereo Audio input mehr. Wir empfehlen den iMic um dieses Problem zu umgehen.

Ablauf

  1. Auf geht's zum nächsten Kleintierhändler um dir Regenwürmer zu kaufen (sie werden oft benutzt um Eidechsen, Schildkröten oder Fische zu füttern. Vielleicht kennst du ja jemanden der angelt, der kennt sich da bestimmt aus. Wahlweise einfach rausgehen und suchen. Die Regenwürmer kann man leicht finden wenn....einmal raten.....richtig wenn es regnet. Wenn du eine kleine Regenwurmkollektion hast, kannst du sie im Kühlschrank aufbewahren (nicht im Gefrierschrank). Dort halten sie es ziemlich lang aus (1-2 Monate).
  2. Bereite eine 10% Alkohollösung vor. Am einfachsten geht das mit Vodka, der enthält 40% Alkohol. Da Vodka mehr oder weniger bereits herunterverdünntes pures Ethanol ist, müssen wir diesen nur weiter verdünnen. Um eine 10% Lösung zu bekommen mische 1 Teil Vodka und 3 Teile Wasser. Ein Beispiel: wir vermischen 10 Milliliter (mL) des 40% Alkohols mit 30 Milliliter Leitungswasser. Frag deinen Lehrer oder deine Eltern das für dich zu machen solltest du unter 18 Jahren sein. Notiz: Du kannst auch zuckerfreies Wasser mit Kohlensäure (auch saurer Sprudel genannt) als Anästhetikum benutzen, wenn du keinen Alkohol zur Hand hast. Der Kohlenstoffdioxid ( CO2) im Sprudelwasser funktioniert wie ein Betäubungsmittel beim Regenwurm.
  3. Leg' einen gesunden Regenwurm in deinen Alkoholmix und warte für 7 Minuten. Nicht zu lang; genauso wie beim Menschen in der Narkose man die richtige Dosis benutzt. Es ist wichtig das die Betäubung nicht zu stark (keine Aktionspotentiale können gemessen werden) und nicht zu leicht (Elektromyogramme des sich bewegenden Regenwurms überschatten die Signale, die wir messen wollen) ist. Bei uns waren 7-10 Minuten immer eine gute Dauer.
  4. Platziere den Regenwurm auf einem Stück Kork, and stecke die drei Elektroden deiner 2-Channel Spiker Box in das hintere Ende des Regenwurms (siehe Abbildung oben).
  5. Jetzt stell' noch einen Faradaykäfig um den Regenwurm und clip den Faradaykäfig an die Erde deiner SpikerBox.
  6. Verbinde die Elektroden mit deiner Neuron SpikerBox Pro und das USB Kabel mit deinem PC.
  7. öffne unsere SpikeRecorder Software und click auf das USB Symbol um die Neuron SpikerBox Pro zu initialisieren.
  8. Drück' den Record Knopf in der Spike Recorder Software und berühr' das hintere Ende des Wurms mit einem Plastik oder Glasstab. Du solltest die Aktionspotentiale hören die du mit der Berührung verursacht hast. Die Nervenzellen des Regenwurms sind mit einer Myelinschicht umhüllt (besteht aus Fett und isoliert). Stell' dir vor das Axon der Nervenzelle ist wie ein Draht und die Myelinschicht drumherum ist seine Plastikhülle und führt dazu dass der Strom stärker und schneller fließen kann. Du wirst hören dass diese Spikes um einiges leiser sind als die Aktionspotentiale aus unseren Einführungsexperimenten (Hartline & Coleman 2007). Viele Nervenkrankheiten, wie zum Beispiel Multiple Sklerose (MS), haben den Rückgang dieser Fettschicht als Ursache.
  9. Berühre den Wurm 3-4 Mal mit 3-4 Sekunden Pause dazwischen.
  10. Miss' den Zeitunterschied indem du an den Anfang eines Spikes klickst und die Maus bis zum nächsten ziehst. Im Eck kannst du sehen wie lang dieses Zeitintervall ist, das du markiert hast.
  11. Mit einem Millimeterlineal kannst du den Abstand der beiden Aufnahmeelektroden messen.
  12. Teile diesen Abstammt mit der gemessenen Zeit. Viola! Und schon hast du die Leitgeschwindigkeit berechnet.
  13. Entferne die Elektroden vom Worm, mach' in ein bisschen nass und lass ihn entweder frei oder behalte ihn um ihn für ein weiteres Experiment zu benutzen. Die Nadeleinstiche wird er ohne Probleme überleben und sie regenerieren wieder.

Jetzt können wir etwas weiter erkunden was hier passiert. Zum Beispiel, ändert sich die Messung zwischen Aufnahmen? Antworten die Nervenzellen eines jeden Regenwurms unterschiedlich? Feuern kleine Regenwürmer schneller als große? Ist die Geschwindigkeit betäubungssensitiv? Das sind alles Fragen, die uns interessieren. Dich doch auch oder? Teil uns deine Erkenntnisse mit! Eine Hilfe um herauszufinden wie man Regenwurmspikes identifizieren kann gibt es hier eine Regenwurmaktionspotentialdatei als Audio file aus dem Video, das oben zu sehen ist.

Nächste Schritte

Hast du dich schonmal gefragt warum du es eigentlich unmittelbar spürst, wenn du dir den kleinen Zehen anschlägst, du den Schmerz aber erst nach 1-2 Sekunden bewusst wahr nimmst? Das liegt daran, dass die beiden Signale (Berührung vs. Schaden/Schmerz) separat durch zwei Systeme weitergeleitet werden. Das heißt, dass zwei unterschiedliche Nervenfaserbahnen die Information mit stark sich unterscheidenden Geschwindigkeiten weitergeben. Unten gibt's nen kleinen Vorgeschmack warum genau das so ist. Du willst tiefer in die Materie eintauchen? Auf geht's zum nächsten Experiment: - Vergleiche die Geschwindigkeiten von zwei unterschiedlichen Nervenfasern.

Probleme

  1. Wenn dein Regenwurm keinen gesunden Eindruck macht (bewegt sich nicht in der Erde oder wenn du ihn zwischen die Finger nimmst), wirst du keine guten Aufnahmen bekommen.
  2. Aus uns unerklärlichen Gründen, ist der Regenwurm eine ziemlich gute Antenne für elektrisches Rauschen (vielleicht weil er so feucht ist...). Wenn du dein Experiment nicht gerade in seinem natürlichen Habitat durchführst brauchst du einen Faradaykäfig damit dieses Experiment funktioniert.

    Du hast noch nicht genug?

    1. Warum benutzen wir Alkohol und nicht Eiswasser um den Wurm zu betäuben?
    2. Was passiert wenn du die Erdungselektrode mit der Aufnahmeelektrode Nr. 1 austauschst?
    3. Was passiert wenn du das vordere Ende des Wurm berührst (quasi am Mund).
    4. Was sind die Vor-, was sind die Nachteile des "Sparse Coding" vs. "Rate Coding"?